
Am 2. April 2025 war „Liberation Day“. Präsident Trump verkündete Zölle von mindestens zehn Prozent für praktisch alle Länder dieser Welt (1). Die amerikanische Politik hat damit der wirtschaftlichen Globalisierung, der sie seit den 80er Jahren ganz entscheidend den Weg bereitete, einen schweren Schlag versetzt. Und so die Folgen eigener, schwerwiegender Fehlentscheidungen anderen aufgebürdet, einfach, weil es möglich ist. „Die Weltwirtschaft ist heute eine grundsätzlich andere als gestern“, beurteilte Mark Carney, Premierminister Kanadas, tags darauf die Lage. (2) Zwar wurde die Höhe fast aller Importzölle eine Woche später vorübergehend wieder eingeschränkt. Doch der Schlag der einseitigen Aktion bleibt bestehen – nicht zuletzt in der Erinnerung.
Schließlich war es nicht das erste Mal, dass die US-Regierung Handelspartner und Verbündete vor vollendete Tatsachen stellte. Am 15. August 1971 teilte Präsident Nixon (3) der amerikanischen und weltweiten Öffentlichkeit mit, dass die bis dahin geltende Bindung des Dollars an Gold „vorübergehend“ ausgesetzt werde. Dies bedeutete nichts weniger als das Aus für die Währungsordnung der Nachkriegszeit. Denn der an das Gold gebundene Dollar fungierte als starker Anker der Währungsordnung von Bretton Woods. (4) Andere Währungen, wie D-Mark, Franc oder Pfund mussten sich ihm gegenüber in engen Bandbreiten bewegen. Gleichfalls verkündete Nixon die Einführung eines Importzolls von 10 Prozent solange, bis deren Ursache - unfaire Handelspraktiken – ausgeräumt seien.
Nach diesem Zusammenbruch des internationalen Währungssystems musste Europa ein neues Kapitel der Währungspolitik aufschlagen. Um Kursschwankungen der europäischen Währungen zu begrenzen, setzten die Unterzeichnerstaaten des EWG-Vertrags von 1957 (Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und Niederlande) im April 1972 den Europäischen Wechselkursverbund in Kraft. (5) Danach durften die Wechselkurse der teilnehmenden Währungen um nicht mehr als 2,25 Prozent von den vereinbarten Leitkursen abweichen. Diese „Währungsschlange“ wurde 1979 durch das Europäische Währungssystem (EWS) ersetzt. (6) Und dieses bildete bis 1999 die zweite von drei Stufen auf dem Weg zur europäischen Wirtschafts- und Währungsunion – also zum Euro.
Eine zweite Weichenstellung mit Folgen bis zum heutigen Tag auch für Europa und den Rest der Welt war die Wirtschaftspolitik der „Reaganomics“. Der 1980 gewählte Präsident Reagan stehe für „eine Zäsur in der Wirtschafts- und Sozialentwicklung der USA“, so John Komlos und Hermann Schubert in ihrem Aufsatz „Reaganomics – Wegbereiter des Trumpismus“ aus dem Jahr 2020. (7) Diese bedeute eine Abkehr von staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft und deren Regulierung ebenso wie „weitreichende Steuersenkungen“. (S.64) „Anstatt ein ausgeglichenes integratives Wachstum zu fördern, führten die Steuersenkungen zu enormen Haushaltsdefiziten, dem Abbau staatlicher Sozialleistungen und einer plötzlichen und dauerhaft veränderten Einkommensverteilung zugunsten der Superreichen.“ (S.64)
Mit der Deregulierung der Finanzmärkte wurde in den 80er Jahren begonnen (S.65) und die „Hyperglobalisierung“ sollte sich entfalten. Der in Kontinentaleuropa verbreitete sozialstaatlich eingehegte „Rheinische Kapitalismus“ (8) kam unter Druck. Die europäische Wirtschaft musste um ihre Wettbewerbsfähigkeit kämpfen. Viele Milliarden flossen aus Europa über den Atlantik, um dort angelegt zu werden. Trotz der in den USA 2008 ausgelösten Finanzkrise hat sich dies bis heute nicht geändert. Zur eigenen Währung braucht es deshalb auch eine europäische Kapitalmarktunion. Oder, wie sie besser genannt wird, eine europäische Spar- und Investitionsunion. (9) Das Kapital soll sich in Europa rentieren, zum Nutzen der Sparer und der Unternehmen und für den Wandel von Wirtschaft und Verteidigung.
Wer immer noch meint, dass die Aussichten für Kapitalanlagen in der EU grundsätzlich schlechter seien als in den USA, sollte die Entwicklung dort genauer betrachten. Mit Reaganomics habe sich das Land in eine Pfadabhängigkeit begeben, in der „Haushaltsdefizite als fiskalpolitische Normalität“ gelten. (S.71) Von diesem Pfad habe sich bisher noch keine amerikanische Regierung gelöst. Das werde „mit hoher Wahrscheinlichkeit katastrophale Folgen für die Zukunft haben“ ebenso wie die Beförderung der „Plutokratie als dominierende politische Herrschaftsform für die US-amerikanische Gesellschaft“, heißt es in dem genannten Aufsatz. - Die Gefährdung von Demokratie und Rechtstaat dürfte heute jedoch noch dramatischer sein, als es sich die beiden Autoren vor fünf Jahren ausmalen konnten.
Margit Reiser-Schober
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- Tabelle der Länder und Höhe der Zölle:
https://www.wiwo.de/politik/ausland/zoelle-hoehe-laender-territorien-aktuelle-liste-der-neuen-importabgaben-der-usa/100118701.html
- Mark Carney
https://x.com/MarkJCarney/status/1907925125875294335
- Nixon Fernsehansprache 15. August 1971
https://www.youtube.com/watch?v=0BVj2gT6CgI&t=721s
August 15 1971 - Remembering When Nixon Took the U.S. Off the Gold Standard
Bloomberg Television, ab Minute 8:40
https://www.youtube.com/watch?v=MuUOO5VAmFI
- Bundesbank–Information zu Bretton Woods
https://www.bundesbank.de/de/aufgaben/themen/1973-das-ende-von-bretton-woods-als-die-kurse-schwanken-lernten-663622
Zusatz-Info: Werner-Plan
https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-europalexikon/177363/werner-plan/
Schon 1970 wurde im Auftrag der Staats- und Regierungschefs der EWG-Mitgliedsländer der nach seinem Urheber benannte Werner-Plan erarbeitet. Dieser schlug einen Dreistufenplan vor, um die europäische Währungsunion bis zum Jahr 1980 zu erreichen.
- Europäischer Wechselkursverbund/Europäische Währungsschlange
https://www.bundesbank.de/dynamic/action/de/startseite/glossar/723820/glossar?firstLetter=E&contentId=652180#anchor-652180
- Europäisches Währungssystem
https://www.bundesbank.de/dynamic/action/de/startseite/glossar/723820/glossar?firstLetter=E&contentId=652180#anchor-652180
- John Komlos, Hermann Schubert: „Reaganomics – Wegbereiter des Trumpismus“
https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2020/heft/1/beitrag/reaganomics-wegbereiter-des-trumpismus-6072.html
- Rheinischer Kapitalismus
https://www.bpb.de/themen/deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/501232/rheinischer-kapitalismus/
- EU-Kommission stellt Spar- und Investitionsunion vor: Sparer und Unternehmen profitieren
https://germany.representation.ec.europa.eu/news/eu-kommission-stellt-spar-und-investitionsunion-vor-sparer-und-unternehmen-profitieren-2025-03-19_de