Von margit |
Christophe Braouet ist Bankdirektor im Ruhestand. Seit 20 Jahren engagiert er sich ehrenamtlich als Vorsitzender der Deutsch-Französischen Gesellschaft Frankfurt am Main (1) und hat jüngst ein Buch mit dem vielversprechenden Titel „Deutschland und Frankreich schaffen das“ veröffentlicht. (2) Die Eurolandpost (ELP) hat Christophe Braouet gebeten, einige Fragen zum Thema europäische Kapitalmarktunion zu beantworten.
- ELP: Zuerst eine Frage zum Verständnis: Bankenunion und Kapitalmarktunion sind zwei unterschiedliche Themen?
BRAOUET: Es sind zwei sich ergänzende Teile der Vertiefung des europäischen Finanzbinnenmarkts. Bei der Bankenunion geht es darum alle Banken -also die „Produzenten“ -einheitlichen Regeln zu unterwerfen. Ein großer Schritt wurde schon mit der Übernahme der Bankenkontrolle (zumindest der 112 größten europäischen Banken) durch die EZB erreicht. Es fehlt noch insbesondere die europäische (also einheitliche) Einlagensicherung, die bisher am deutschen Widerstand scheitert. Bei der Kapitalmarktunion geht es darum die „Verbraucher“, also Unternehmen und Privatpersonen den Zugang zu denselben Produkten im Euroraum zu ermöglichen: Es fängt bei der Verbriefung und den verschiedenen Börsen an und hört bei den Sparprodukten auf. All diese Produkte sind noch national definiert, unterliegen anderen Steuern usw. …, während es nur einen amerikanischen Markt gibt. Im Kern geht es nämlich darum, unsere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber insbesondere den Amerikanern aufrechterhalten zu können.
- ELP: Diesmal wollen wir das Thema Kapitalmarktunion vertiefen. Für Laien ist Folgendes schwer zu verstehen: Warum gibt es die Kapitalmarktunion noch nicht, obwohl der freie Kapitalverkehr zu den vier Freiheiten des europäischen Binnenmarktes zählt?
BRAOUET: Leichter gesagt als getan: Jeder Staat muss auf seine Steuerprivilegien verzichten. Dies verweigern insbesondere Luxemburg und Irland, die dank reduzierter Steuern auf Kapitalmarkttransaktionen über überproportional große Finanzsysteme verfügen. Hier sollte Irland darin erinnert werden, dass es während der Finanzkrise auch aus diesem Grund besonders betroffen war und von der europäischen Gemeinschaft gerettet wurde. Luxemburg profitiert in vielerlei Hinsicht von seiner EU-Mitgliedschaft. So freute sich zum Beispiel Jean-Claude Junker, dass er zum EU-Kommissionspräsidenten werden konnte, obwohl Luxemburg nur 1 Prozent der europäischen Bevölkerung zählt.
- ELP: Der EZB-Rat (3), die Zentralbankchefs von Deutschland und Frankreich (4), der Europäische Rat der Regierungschefs (5) (6) – sie alle machen sich aktuell stark für die Verwirklichung einer europäischen Kapitalmarktunion. Warum ist dieses Vorhaben so wichtig?
BRAOUET: Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit der Banken und der Unternehmen, insbesondere im Verhältnis zu den USA. JP MorganChase, die größte US-Bank hat in einem Jahr so viel verdient wie alle europäischen Banken zusammen. Ein und dasselbe Produkt kann diese Bank von New York bis Los Angeles, von Chicago bis Dallas vertreiben. Die Ersparnisse von Seattle können in Miami, die von Boston in New Orleans investiert werden. Dies gilt für Anleihen, Aktien, aber auch für Start-Ups. In Europa sind wir diesbezüglich noch in nationalen Grenzen gefangen. Das amerikanische Sparvermögen um eine neue Idee zu verwirklichen ist ungemein größer als das jeweils nationale Ersparte eines EU-Mitgliedstaats. So muss man sich nicht wundern, dass heute ein US-Konzern so groß wie die französische Wirtschaft insgesamt geworden ist (der Börsenwert von Apple entspricht dem französischen BIP). Von einem einheitlichen Markt würden also nicht nur die Banken, sondern auch alle Unternehmen profitieren.
- ELP: Welche Vorteile kann die Kapitalmarktunion den Bürgerinnen und Bürger bieten, beispielsweise den Menschen, sich nicht vornehmlich mit Geldanlage beschäftigen?
BRAOUET: Sparer würden über die gesamte Anlagepalette europäischer Fondsanbieterverfügen können. Die Finanzierung einer Immobilie in einem EU-Land könnte ohne Zusatzkosten erfolgen. Sogar Erbschaften würden erleichtert. So gibt es zwar ein einheitliches europäisches Formular (ENZ für Deutschland, CSE für Frankreich): Es muss aber beglaubigt in die andere Sprache übersetzt werden… absurd.
- ELP: Der Europäische Rat hat am 11. März (5) für die kommende Wahlperiode des Europäischen Parlaments von 2024 bis 2029 drei Felder der angestrebten Kapitalmarktunion identifiziert, die mit Priorität bearbeitet werden sollen. Welches sind aus Ihrer Sicht die schwierigsten Hindernisse, die es dabei zu überwinden gilt?
BRAOUET: Allem voran gilt es die Steueroasen Luxemburg und Irland von der Notwendigkeit eines Einheitlichen Markts im Finanzwesen zu überzeugen. Beide Länder profitieren vom Binnenmarkt in allen anderen Aspekten. Da geht es aber um die Finanzierung der Budgets: Auch Deutschland und Frankreich müssen sich aufeinander zu bewegen, angefangen mit den nationalen Börsen, die jetzt im Wettbewerb stehen, um internationale Investoren für sich zu gewinnen.
- ELP: Da die Verwirklichung der Kapitalmarktunion wohl noch auf sich warten lässt, machte der Finanz- und Wirtschaftsminister Frankreichs Bruno Le Maire aus Anlass der informellen Tagung der Wirtschafts- und Finanzminister von 22 bis 24. Februar einen Vorschlag (7): Mitgliedsländer, die das möchten, sind dazu eingeladen, gemeinsam mit Frankreich die folgenden drei Schritte zu unternehmen: sich einer freiwilligen europäischen Kapitalmarkt-Aufsicht zu unterstellen (ESMA), ein europäisches Sparprodukt einzuführen und die Verbriefung von Forderungen der Banken zu ermöglichen.
Was halten Sie von diesem Vorschlag?
BRAOUET: Ich finde es einen sehr konstruktiven Vorschlag. Auf französisch sagt man: „l’appetit vient en mangeant“. Sinnhaft: Der Appetit kommt mit der Vorspeise, oder man isst mit den Augen. Will heißen, der Rest folgt … und schmeckt, meistens!
- ELP: Herr Braouet, vielen Dank für das Gespräch!
- https://www.dfg-frankfurt.de/
- https://www.nomos-shop.de/tectum/titel/deutschland-und-frankreich-schaffen-das-id-112732/
- https://www.ecb.europa.eu/press/pr/date/2024/html/ecb.pr240307~76c2ab2747.en.html
- https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/mehr-wirtschaft/nagel-und-de-galhau-warum-es-eine-kapitalmarktunion-braucht-19602905.html
- https://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2024/03/11/statement-of-the-eurogroup-in-inclusive-format-on-the-future-of-capital-markets-union/
- https://www.consilium.europa.eu/de/meetings/european-council/2024/04/17-18/
- https://x.com/RPFranceUE/status/1760948224456556972