Von margit |
 Blick zum Glasdach eines Gebäudes auf dem Uni-Campus Riedberg (Naturwissenschaften) in Frankfurt am Main

Mario Draghi definiert in seinem Bericht „Die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit“ drei Aktionsbereiche. Am wichtigsten sei es, erstens, die gemeinsamen Bemühungen darauf auszurichten, den Rückstand an Innovationen bei Spitzentechnologien gegenüber den USA und China aufzuholen. Zweiter Aktionsbereich sei ein gemeinsamer Plan für Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit. Und drittens müsse die Sicherheit Europas erhöht und seine Abhängigkeiten verringert werden. (2a) Um dies zu erreichen, müssten EU und Mitgliedsländer ihre Politik auf klare Prioritäten ausrichten. Die Mittel müssten sich auf das Wesentliche konzentrieren, und da wo es zähle, brauche es mehr Koordination. (2b) Diese Reformen sind sehr große Herausforderungen für die nationale und europäische Politik. 

Aber auch die europäische Wirtschaft ist gefragt. Denn um die erforderlichen Investitionen für mehr Wettbewerbsfähigkeit zu finanzieren, seien nach Schätzungen der Kommission zusätzliche Mittel in Höhe von mindestens 750 bis 800 Mrd. EUR jährlich erforderlich (2c) Die Ressourcen der europäischen Wirtschaft reichten aus, um diesen Investitionsbedarf zu decken. Doch, so Draghi, zur Finanzierung des Plans brauche der private Sektor öffentliche Unterstützung wie beispielsweise steuerliche Anreize und direkte staatliche Investitionen. Eine Kapitalmarktunion (Investitions- und Sparunion), biete ebenfalls Vorteile. Doch diese sei, trotz einiger Fortschritte, immer noch nicht verwirklicht. 

EU-Bonds als Baustein der Investitions- und Sparunion 
Den Unterschied könnte die „Emission eines gemeinsamen sicheren Vermögenswerts“ machen. (2d) Denn zum einen würde langfristiges Kapital, an dem es bisher mangelt, für die genannten Ziele bereitgestellt. Zum anderen würde dies der Kapitalmarktunion einen Schub verschaffen. Vier Pluspunkte werden dargestellt: Der „gemeinsame sichere Vermögenswert“ würde erstens zur Standardisierung von Finanzprodukten in der EU beitragen und die Märkte so transparenter und vergleichbarer machen. Zweitens würde er eine Form von Sicherheit bieten, „die in jedem Mitgliedstaat und in allen Marktsegmenten, … zwischen den Banken, auch grenzüberschreitend, verwendet werden kann.“ 

„Drittens würde ein gemeinsamer sicherer Vermögenswert einen großen, liquiden Markt schaffen, der Anleger aus aller Welt anzieht, was zu niedrigeren Kapitalkosten und effizienteren Finanzmärkten in der gesamten EU führen würde. Dieser Vermögenswert würde auch die Grundlage der internationalen Euro-Reserven anderer Zentralbanken bilden und die Rolle des Euro als Reservewährung stärken.“ Viertens würde dies auch allen europäischen Haushalten, den Privatkunden, eine sichere und liquide Anlagemöglichkeit bieten, die zu einem gemeinsamen Preis zugänglich wäre. 

Das NextGenerationEU-Programm machts vor
Mit dieser Auffassung steht Mario Draghi nicht allein. Über das NGEU-Programm äußerte sich Isabel Schnabel, Mitglied des Direktoriums der EZB, in ähnlicher Weise. Das Programm schließe vorübergehend „drei wichtige Lücken in der institutionellen europäischen Architektur“, darunter die Vertiefung der Kapitalmärkte im Euroraum. (3) Peter Bofinger, der Volkswirtschaft an der Universität Würzburg lehrt, sieht es so: „Insgesamt leidet die Diskussion über eine Europäische Kapitalmarktunion darunter, dass sie den Anschein erweckt, dass mit kleinteiligen institutionellen Änderungen ein qualitativer Sprung gegenüber dem schon erreichten, sehr hohen Maß an Kapitalmarktintegration erreicht werden könne. Demgegenüber blendet sie in der Regel aus, dass der entscheidende Nachteil Europas gegenüber den Vereinigten Staaten in der Fragmentierung der Märkte für Staatsanleihen besteht.“ (4) 

Kritisch sieht das der Ökonom Eckhard Wurzel, Honorarprofessor an der Universität Konstanz. Er äußert sich auf X in einem Thread wie folgt: „Höhere Wettbewerbsfähigkeit der EU erfordert regulatorische Reformen, sowohl auf nationaler Ebene, als auch auf EU-Ebene.“ … „Wird Verschuldung auf EU-Ebene weiter ausgedehnt – es gibt sie bereits, obwohl sie als Dauereinrichtung in den EU-Verträgen nicht vorgesehen ist –, so wird dies zu erweiterter Schuldenakkumulation über die Länderebene hinaus führen.“ … „Mittelfristig bringt dies dem Gesamtsystem, bestehend aus EU- und Länderebene, allerdings keine finanziellen Vorteile, da Schuldendienst und Tilgung für EU-Schulden von den EU-Ländern finanziert werden müssen …“ (5) 

Nachdem Draghi am 9. September seinen Vortrag beendet hatte, vergingen laut der europäischen Ausgabe von Politico (5) keine drei Stunden, bevor der deutsche Finanzminister Christian Lindner erklärte, dass „Deutschland einer gemeinsamen Anleihe nicht zustimmen wird“. Dazu ist zu sagen, dass Deutschland bisher wenigstens einmal einer gemeinsamen Anleihe, dem NGEU-Programm, zugestimmt hat. Und in der Deutschen Börse in Frankfurt am Main konnte man sich für die EU-Bonds kürzlich schon sehr begeistern. (6) Sicher dürfte sich das bis nach Berlin herumsprechen. 

Margit Reiser-Schober 

  1. Die Europäische Kommission spricht von „EU-Bonds“
    https://x.com/EU_Commission/status/1843309031500444041 
     
  2. https://commission.europa.eu/document/download/97e481fd-2dc3-412d-be4c-f152a8232961_en?filename=The%20future%20of%20European%20competitiveness%20_%20A%20competitiveness%20strategy%20for%20Europe.pdf
    a) S.2; b) S.4; c) S.59; d) S.60 
     
  3. https://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2024/html/ecb.sp240514~aff1495bc4.de.html
     
  4. https://www.ipg-journal.de/rubriken/wirtschaft-und-oekologie/artikel/stolperstein-staatsanleihen-7751/
     
  5. https://x.com/EckhardWurzel/status/1833422216727261360
     
  6. https://www.politico.eu/article/mario-draghi-report-europe-finances-invest-energy-work/ 
     
  7. https://audiovisual.ec.europa.eu/en/video/I-261535

Fehler im Inhalt? – eurolandpost@gmx.eu