Von margit |
Fahrgäste an der S-Bahnstation Berlin-Waidmannslust, Reinickendorf, Sommer 23

Im Schatten von Pandemie und Krieg in der Ukraine fand von April 2021 bis Mai 2022 etwas in der EU noch nie Dagewesenes statt: die Konferenz zur Zukunft Europas. Im März 2021 hatten die Präsidenten dreier Organe der EU, des Parlaments, des Rats und der Kommission, ihre Gemeinsame Erklärung zur Zukunftskonferenz abgegeben. Deren Ziel war, den Europäerinnen und Europäern zu ermöglichen, „ihre Erwartungen an die Europäische Union vorzutragen und eine größere Rolle bei der Gestaltung der Zukunft der Union zu spielen.“ (1)

Ein zentraler Baustein der Zukunftskonferenz war eine mehrsprachige digitale Plattform. Hier konnten die Bürgerinnen und Bürger ihre Beiträge einstellen und sich über ihre Ideen austauschen. In diese flossen auch Vorschläge und Ergebnisse aus mehreren tausend Veranstaltungen mit rund 650.000 Teilnehmenden, zu denen als Teil der Konferenz ebenfalls eingeladen wurde. Denn die gemeinsame Erklärung forderte alle politischen Ebenen, von der Gemeinde bis zur EU, sowie Akteure der Zivilgesellschaft auf, sich zu beteiligen. So landeten schließlich 17.000 Ideen auf der Plattform.

Ein weiterer zentraler Baustein war ebenfalls ein Novum auf europäischer Ebene: die Veranstaltung von vier Europäischen Bürgerforen mit jeweils 200 Teilnehmenden an jeweils drei Wochenenden. Die Mitwirkenden wurden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und sollten die gesamte Bevölkerung der EU repräsentieren – mit besonderer Berücksichtigung junger Menschen. Die Themen, die im Rahmen der vier Foren diskutiert wurden, resultierten aus den Diskussionen auf der erwähnten digitalen Plattform.

Am Europatag 2022, am 9. Mai, wurde als Abschluss der Zukunftskonferenz den drei Organen der EU eine Zusammenfassung von 49 Vorschlägen und 200 Maßnahmen zu neun Themenbereichen übergeben. Die Themenbereiche betreffen: eine stärkere Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit; Beschäftigung; Bildung, Kultur; Jugend und Sport; Digitaler Wandel; Demokratie in Europa; Werte und Rechte, Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit; Klimawandel und Umwelt; Gesundheit; die EU in der Welt und Migration. 

Tatsächlich hat jedes der beteiligten EU-Organe zum Stand der Verwirklichung der Vorschläge aus der Bürgerschaft berichtet und seine Schlussfolgerungen gezogen. Das Europäische Parlament löste schon am 9. Juni 2022 das Verfahren zur Änderung der EU-Verträge aus. (2) Die Kommission berichtet auf ihrer Internet-Seite, sie sei „bei knapp 95 Prozent der von der Konferenz angeregten Maßnahmen, die in ihre Zuständigkeit fallen und den Verträgen nicht widersprechen, tätig geworden.“ (3). Drei weitere Bürgerforen hätten bereits stattgefunden zu Themen wie Lebensmittelverschwendung, virtuelle Welten und Lernmobilität im Ausland. Der Europäische Rat berichtet am 7. Dezember 2023 zum Stand der Verwirklichung der Vorschläge zu den neun Themen. Auf Seite 4 wird ausgeführt, dass die Umsetzung von nur 5 Prozent der Maßnahmen einer Vertragsänderung bedarf. (4)

In einem Artikel der Stiftung Wissenschaft und Politik (5) ziehen die Autoren folgende Schlüsse aus der Konferenz: Erstens wollten die Bürgerinnen und Bürger, dass die EU mehr Verantwortung übernimmt und geeint in der Welt auftritt. Mit ihren Stärken, also ihrer Regulierungsmacht und ihrer Wirtschaftspolitik, solle sie die Transformationsprojekte Green Deal und Digitalisierung vorantreiben. Zweitens wollten die Bürger mehr Transparenz und mehr Angebote zur Beteiligung. Was die Änderung der Verträge betrifft, so konzentrieren sich die Vorschläge der Bürger auf die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen und mehr Handlungsfähigkeit der EU sowie eine begrenzte Ausweitung ihrer Kompetenzen. 

Die in Frankfurt entstandene europäische Bürgerbewegung Pulse of Europe hat ebenfalls auf verschiedene Weise an der Konferenz zur Zukunft Europas (CoFoE) mitgewirkt. Zum einen hat sie Kampagnen dazu organisiert und die stellvertretende Vorsitzende Stephanie Hartung konnte bei der Abschlussveranstaltung am 9. Mai 2022 eine Rede halten. Auf Anfrage der Eurolandpost lautet das Resümee der Bürgerbewegung: „Grundsätzlich schätzen wir die CoFoE ein erfolgreiches Experiment zur Stärkung der europäischen Bürgerbeteiligung ein. Diverse neue Beteiligungsformate sind aus der CoFoE hervorgegangen. Ansonsten gibt es natürlich etlichen Verbesserungsbedarf.“

 

  1. https://www.eu-zukunftskonferenz.at/user/documents/cofe_report_de_with-annexes_final.pdf
    Konferenz zur Zukunft Europas 
    BERICHT ÜBER DAS ENDGÜLTIGE ERGEBNIS Mai 2022, 346 Seiten, 
    Seiten 5 bis 15, Zitat aus der Einleitung

     
  2. https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20220603IPR32122/parlament-lost-verfahren-zur-anderung-der-eu-vertrage-aus

     
  3. https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/priorities-2019-2024/new-push-european-democracy/conference-future-europe_de

     
  4. https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-16054-2023-INIT/de/pdf

     
  5. https://www.swp-berlin.org/10.18449/2022A44/

 

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