Von margit |
Wandbild in der Bahnhofshalle in Heidelberg

„Von der Pax Americana zu Pax Europaea”

„25 Jahre besonnener Dummheit fordern ihren Tribut“, so der Kölner Politikwissenschaftler Thomas Jäger (2) - vor allem mit Blick auf die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik des vergangenen Jahrzehnts. Hinsichtlich der nationalen Verteidigungspolitik wurde in Deutschland ebenso wie in vielen Mitgliedsländern seit 2022 das Ruder herumgerissen. So wuchsen die gesamten Verteidigungsausgaben zwischen 2021 und 2024 der EU-Mitgliedstaaten um mehr als 30 Prozent. 2024 beliefen sie sich schätzungsweise auf 326 Milliarden Euro (etwa 1,9 Prozent des BIP der EU). (3) Nach Ländern aufgeschlüsselt reichen sie 2023 von 0,25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Irland (… sehr solidarisch!) bis zu 3,3 Prozent in Polen. (4) Doch auch auf europäischer Ebene wurde massiv umgesteuert.

Erster Europäischer Kommissar für Verteidigung
Mit der Bestätigung der Kommission am 27. November 2024 durch das Europäische Parlament wurde mit Andrius Kubilius erstmals ein Europäischer Kommissar für Verteidigung ernannt. (5) (6) Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehört es, dafür zu sorgen, dass Europa nicht nur mehr Geld im Verteidigungsbereich ausgibt, sondern dies besser und europäischer. (7) Weiter ist er dafür verantwortlich, einen echten Binnenmarkt für Verteidigungsgüter und -dienstleistungen zu schaffen. Dabei sollen KMUs künftig besser in die Lieferketten eingebunden werden. Am 19. März dieses Jahres präsentierte er gemeinsam mit der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Kaja Kallas das „Weißbuch zur Europäischen Verteidigung – Bereitschaft 2030“. Dieses schlägt eine Reihe von Maßnahmen vor, „um kritische Fähigkeitslücken zu schließen und eine starke industrielle Verteidigungsbasis aufzubauen“. (8)

Europäische Zusammenarbeit: EDA und PESCO
Die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) (9) in Brüssel wurde 2004 gegründet. Gegenwärtig betreuen dort mehr als 180 Experten (mit einem Netzwerk von ca. 2.500 nationalen Experten) über 140 Projekte. Ihr Ziel ist es, die nationalen Streitkräfte der EU-Länder auf fünf Arbeitsfeldern zu unterstützen: Erstens, effizienter Einsatz der Mittel, zweitens, Unterstützung bei der Zusammenarbeit, drittens, Überprüfung der Fähigkeiten, Ermittlung von Defiziten und Schließung von Lücken, vierten, Förderung von Verteidigungsinnovationen (auch mit Wissen aus Start-Ups und Universitäten) und fünftens, gemeinsame Übungen und Trainings, darunter Drohneneinsätze und Cyberabwehr. (10) Die EDA veröffentlicht alle zwei Jahre den Bericht CARD (Coordinated Annual Review on Defence). (11) Dieser liefert den Mitgliedstaaten einen Überblick und eine Analyse der Verteidigungslandschaft in der EU und zeigt ihnen lohnende Möglichkeiten der Zusammenarbeit auf.
PESCO (Permanent Structured Cooperation) (12) wurde 2017 durch einen Beschluss des Europäischen Rates gegründet (13), außer Malta nehmen alle Mitgliedsländer der EU teil. Aufgabe von PESCO ist die Vertiefung der Verteidigungszusammenarbeit zwischen den Mitgliedsländern der EU. Zu diesem Zweck wird auf den positiven Beispielen europäischer Kooperation aufgebaut, um deren Umfang, Schwerpunkt und Ergebnisse zu erweitern. Die aktuell 75 Projekte werden jeweils von einem Mitgliedsland betreut, zu dem andere bei Interesse hinzustoßen können. Die teilnehmenden Staaten haben sich zu einer Reihe ehrgeiziger und mit mehr Verbindlichkeit ausgestatteter Verpflichtungen bereitgefunden. (14)

Finanzierung: EDF, SAFE und Europäische Investitionsbank (EIB)
Der Europäische Verteidigungsfond (EDF) ist das Instrument der Kommission zur Förderung der europäischen industriellen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Verteidigung. (15) Von 2021 bis 2027 stehen 8 Milliarden Euro bereit. Dabei sind 2,7 Mrd. EUR für die kooperative Verteidigungsforschung vorgesehen. 5,3 Mrd. EUR stehen für kooperative Projekte zum Kapazitätsaufbau bereit, die die nationalen Beiträge ergänzen. Ziel ist die Entwicklung bahnbrechender Technologien und weitreichender interoperabler Fähigkeiten. 
Am 27. Mai 2025 hat der Rat der Europäischen Union SAFE beschlossen. (16) Dieses Instrument stellt Fördermittel für die gemeinsame Beschaffung im Bereich der europäischen Sicherheit und Verteidigung in Höhe bis zu 150 Milliarden Euro zur Verfügung. Zu diesem Zweck „wird die Kommission bis zu 150 Mrd. EUR auf den Kapitalmärkten aufbringen “. (17) SAFE soll jene Mitgliedstaaten unterstützen, die willens sind, in die industrielle Produktion im Verteidigungsbereich durch gemeinsame Beschaffung mit dem Schwerpunkt auf vorrangigen Fähigkeiten zu investieren. SAFE eröffnet darüber hinaus ein neues Kapitel in der Zusammenarbeit mit Drittländern. „Für die Ukraine und für die dem EWR angehörenden EFTA‑Staaten werden die gleichen Bedingungen gelten wie für Mitgliedstaaten. Sie werden sich nicht nur an gemeinsamen Beschaffungen beteiligen können, sondern es wird auch möglich sein, bei ihren Industrien zu kaufen.“ (18) Bis 30. Juli hatten bereits 18 Mitgliedstaaten mindestens 127 Mrd. EUR im Rahmen des SAFE-Verteidigungsinstruments beantragt. (19) 
Wie die Europäische Investitionsbank (EIB) in einer Pressemitteilung vom 21. März 2025 mitteilt, will auch diese Einrichtung daran mitwirken, Europas Sicherheit und Verteidigung stärken. (20) So hat der Verwaltungsrat die Förderkriterien der EIB-Gruppe für Europas Industrie und Infrastruktur im Bereich Sicherheit und Verteidigung weiter angepasst. Dies wird Investitionen in Europas Verteidigung weiter erleichtern. Orientiert am „Readiness 2030“-Plan zur Wiederaufrüstung Europas und am Weißbuch zur Zukunft der europäischen Verteidigung möchte die EIB-Gruppe „ihre Investitionen in Sicherheits- und Verteidigungsprojekte dieses Jahr mindestens verdoppeln und damit ein neues Rekordniveau erreichen."

Letzter „Selenskyj-Moment“ für die Europäer?
Es war Sonntag, der 27. Juli 2025, an dem Donald Trump den Europäern ihren „Selenskyj-Moment“ bescherte. Nach Verhandlungen mit der Europäischen Kommission wurden in einem Treffen mit Präsidentin von der Leyen die Bedingungen des künftigen Marktzugangs für europäische Unternehmen mitgeteilt. (21) Während viele Ökonomen (auch amerikanische) Trumps Zollpolitik in der Luft zerreißen, ist das Machtgefälle zwischen beiden Akteuren für viele in Europa die eigentliche Botschaft des Abends. Diese dürfte die Europäer darin bestärken, unabhängiger von der amerikanischen Politik zu werden. Wie Kommissar Andrius Kubilius in einer Rede am 28. Juni 2025 sagte: „Die Pax Europaea (Frieden in Europa) ist unsere strategische Verantwortung. Unsere Verantwortung, nicht die Verantwortung der Vereinigten Staaten. Um dies zu erreichen, müssen wir bereit sein, unabhängig zu sein.“ (1)

Margit Reiser-Schober

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(1) Speech by Commissioner Kubilius at the Tocqueville Conversations: “The Future of Europe: From Pax Americana to Pax Europeae”, 28. Juni 2025 https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/speech_25_1661
"Pax Europaea (Peace in Europe) is our strategic responsibility. Our responsibility, not an American responsibility. In order to achieve that, we need to be ready to be independent."

(2) Prof. Thomas Jäger auf X:
https://x.com/jaegerthomas2/status/1949568314730250427

(3) Verteidigungsausgaben Mitgliedsstaaten EU gesamt
https://www.consilium.europa.eu/de/policies/defence-numbers/#expenditure

(4) Verteidigungsausgaben nach Mitgliedsland
https://eda.europa.eu/docs/default-source/brochures/eda---defence-data-23-24---web---final.pdf , S.5

(5) EP bestätigt Kommission am 27.11.2024
https://germany.representation.ec.europa.eu/news/neue-kommission-fur-2024-2029-vom-europaparlament-gewahlt-2024-11-27_de

(6) Andrius Kubilius, erster Kommissar für Verteidigung Europas
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/eu-verteidigungskommissar-kubilius-100.html

(7) Kommissar Andrius Kubilius
https://commission.europa.eu/about/organisation/college-commissioners/andrius-kubilius_en
His task is to help ensure that when it comes to defence, Europe spends more, spends better and spends European. 
„creating a true Single Market for Defence products and services, notably by making proposals to improve the integration of SMEs in supply chains“

(8) White Paper for European Defence – Readiness 2030
https://www.eeas.europa.eu/eeas/white-paper-for-european-defence-readiness-2030_en#104841

(9) European Defence Agency
https://eda.europa.eu/ 

(10) EDA kurz vorgestellt
https://eda.europa.eu/what-we-do/eda-in-short

(11) CARD 2024
https://eda.europa.eu/what-we-do/EU-defence-initiatives/coordinated-annual-review-on-defence-(card)
https://eda.europa.eu/docs/default-source/documents/card-report-2024.pdf

(12) PESCO
https://www.pesco.europa.eu/ 

(13) Europäischer Rat beschließt PESCO
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CELEX:32017D2315&from=EN

(14) Bindende Verpflichtungen der Mitgliedsländer
 https://www.pesco.europa.eu/binding-commitments/

(15) EDF
https://defence-industry-space.ec.europa.eu/eu-defence-industry/european-defence-fund-edf-official-webpage-european-commission_en?prefLang=de

(16) SAFE
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L_202501106

(17) Finanzierung SAFE
https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_25_1340

(18) Öffnung SAFE für Drittländer
https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2025/05/27/safe-council-adopts-150-billion-boost-for-joint-procurement-on-european-security-and-defence/

(19) Nutzung SAFE
https://defence-industry-space.ec.europa.eu/18-initial-member-states-request-least-eu127-billion-under-safe-defence-instrument-2025-07-30_en

(20) EIB
https://www.eib.org/de/press/all/2025-156-eib-steps-up-financing-for-european-security-and-defence-and-critical-raw-materials

(21) Zölle - DLF Nachrichten 27.07.2025
https://www.deutschlandfunk.de/zollstreit-us-praesident-trump-verkuendet-einigung-mit-der-eu-100.html

Ergänzung 1: FAZ, 11. August 2025
Niederländische Großbanken gehen Waffengeschäft an
ABN legt Fonds auf, ING meldet Kreditboom, Rabobank öffnet sich
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/niederlaendische-grossbanken-gehen-waffengeschaeft-an-110630972.html

Ergänzung 2:
Der Kommissionspräsidentin sollte man zugutehalten, dass sie keine Staatschefin ist und die EU nur in dem Rahmen ihrer Zuständigkeiten (beispielsweise hinsichtlich des Binnenmarkts) vertreten kann. Militärisches Gerät kaufen die EU-Mitgliedsländer und Investitionen tätigen die europäischen Unternehmen.