Von margit |
Blick auf Passau, März 2025

Wahre europäische Föderalisten schätzen den Nationalstaat

Wer sich gegenwärtig (noch) auf „X“ (ehemals Twitter) zu europäischen Fragen umsieht, dem werden sie kaum entgehen, die Apologeten des europäischen Föderalismus. In oftmals jugendlichem Überschwang fordern sie die Übertragung wesentlicher Politikfelder auf die Europäische Union. So soll beispielsweise die Bedrohung durch Putins Russland mit der Europäisierung des Militärs begegnet werden. (1) Gerade die Landesverteidigung zeigt jedoch die besonders enge Verbindung zwischen nationaler Politik und Militär. Ein Beispiel: Aufgrund der historischen Erfahrungen, die die Deutschen machen mussten, ist die Bundeswehr eine Parlamentsarmee. (2) Dies bedeutet, dass der Bundestag über ihre Einsätze entscheidet und nicht der Bundeskanzler oder der Bundespräsident. Wer ein starkes Europa will, das in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen, sollte deshalb nicht die Vergemeinschaftung des Militärs fordern. Ziel sollte, wie von Herfried Münkler vorgeschlagen, ein europäisches Oberkommando sein, dem die nationalen Streitkräfte unterstellt werden (vergleichbar wie bisher der NATO) (3) Das ließe sich nicht nur in absehbarer Zeit verwirklichen. Es würde auch die nationalen Vorbehalte aufgrund historischer Erfahrungen der Mitgliedsländer respektieren.

Ein anderes Politikfeld, das sich schwerlich für die Europäisierung eignet, ist die Verteilungspolitik. Auch hier bildet die Nation bis auf Weiteres das einigende Band, das es ermöglicht, solidarisch zu handeln. Das Band mag schwächer werden oder rissig sein, doch noch ist es vorhanden: Die Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit haben sich in Debatten im nationalen Rahmen gebildet. Die Finanzverwaltungen sind national aufgestellt. Und es sind die nationalen Parlamente, die großteils über die Verwendung der Steuergelder entscheiden. Dies spricht selbstverständlich nicht gegen europäische Programme, die dem wirtschaftlichen Ausgleich unter den Mitgliedsländern dienen. Seit 1975 fördert der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) strukturschwache Regionen der EU. (4) Und der 1994 eingerichtete Kohäsionsfonds unterstützt Mitgliedstaaten finanziell, deren Bruttonationaleinkommen pro Kopf bei unter 90 Prozent des EU-Durchschnitts liegt. (5). 

Verteidigungs- und Verteilungspolitik zeigen: Hier geht es um das „Eingemachte“, den Kern nationaler Politik und nicht um Fragen des Subsidiaritätsprinzips. (6) Abgesehen davon, dass es zu einem föderalen Europa in absehbarer Zeit nicht kommen wird: Unbedachte Bestrebungen, Kernbestandteile nationaler Politik europäisch zu vergemeinschaften, würden großen Schaden anrichten. Wer hier den Euro als gelungenes Beispiel der Europäisierung einer vormals nationalen Zuständigkeit aufruft, sollte bedenken, dass es bei der gemeinsamen Währung nicht um Leib und Leben der Menschen geht. Was spricht also dagegen, die Verteidigung und die Verteilung zu vergemeinschaften? 

Erstens, die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger möchte es nicht. Sie hat sich in ihrem Mitgliedsland, ihrer Nation eingerichtet und fühlt sich als Italiener, Rumäne oder Ire. Zweitens, weil wesentliche Voraussetzungen für die Europäisierung dieser Aufgaben fehlen. Darunter die wichtigste: die Demokratie. Ohne europäische Zivilgesellschaft keine europäische Demokratie (7) - und die europäische Zivilgesellschaft ist erst im Werden (wozu die Eurolandpost ihren Teil beitragen möchte). Wir kämpfen mit Sprachbarrieren, Vorurteilen, nationalen Pfadabhängigkeiten und inhaltlich unterschiedlichen Vorstellungen und Interessen. Für viele Menschen spielt die europäische Identität (noch) keine dominante Rolle. Auch ist die europäische Demokratie institutionell nur unvollkommen ausgeprägt. So fehlt beispielsweise ein Initiativrecht des Europäischen Parlaments. 

Und drittens ist es tatsächlich nicht nötig. Denn es gibt Formen der europäischen Zusammenarbeit, die uns die Früchte ernten lassen, ohne dass wir den tief verwurzelten Baum der Nation abholzen. 

Margit Reiser-Schober

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  1. Nur ein Beispiel: Mariska den Eeld von der Partei Volt
    https://x.com/eeldenden

     
  2. Parlamentsarmee
    https://www.bundeswehr.de/de/meldungen/bundeswehr-parlamentsarmee-5230938

     
  3. Herdfried Münklers Vorschläge:
    https://eurolandpost.eu/Europas-Selbstbehauptung

     
  4. Europäischer Fonds für regionale Entwicklung (EFRE)
    https://www.europarl.europa.eu/factsheets/de/sheet/95/europaischer-fonds-fur-regionale-entwicklung-efre-

     
  5. Europäischer Kohäsionsfonds
    https://www.europarl.europa.eu/factsheets/de/sheet/96/kohasionsfonds

     
  6. Subsidiaritätsprinzip
    https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/lexikon-der-wirtschaft/20791/subsidiaritaetsprinzip/

     
  7. Ernest Gellner: „Bedingungen der Freiheit – die Zivilgesellschaft und ihre Rivalen“
    Klett-Cotta, Stuttgart 2001